Wie sind Sie zum Klavierspiel gekommen?
Als ich Kind war habe ich oft eine Kassette der Deutschen Grammophon gehört. Dieser Eindruck hat mich bis heute geprägt und fasziniert. Ein Klavier kann ohne auf andere angewiesen zu sein, eine eigene Welt erzeugen und so viele Eindrücke aufbauen – gleichzeitig. Das kann sonst kein anderes Instrument. Die Vorstellung, dass man ohne auf eine Gruppe von Musikern angewiesen zu sein, alle Gedanken und Gefühle musikalisch ausdrücken kann, hat mich als Kind am meisten fasziniert.
Wie sind Sie dann Pianist geworden?
Meine Mutter wollte mich damals in den Gruppenklavierunterricht schicken. Dadurch war ich aber eher abgeschreckt, da mir dieses gleichgeschaltete, nach Vorgabe musizieren nicht lag. Ich fühlte mich dort nicht wohl. Durch das Klavier aber hatte ich das Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmtheit – ohne nur reagieren und funktionieren zu müssen. Chopin sprach mir aus der Seele, als er sagte: „Das Klavier ist mein zweites Ich“. Ein Initialmoment für mein Klavierspiel war folgende Situation: In der Musikalienhandlung, wo ich oft stundenlang saß, sah ich Noten von Bach-Fugen und versuchte sie zuhause nachzuspielen. Die Unabhängigkeit mehrerer Stimmen, die man aber allein dirigieren kann, war für mich eine Erfahrung, die ich nicht kannte, und veranlasste mich zu einem enormen Lernfortschritt.
Was wollen Sie mit Ihrer Musik erreichen?
Ich habe mich schon sehr früh mit vielen Interpretationen beschäftigt. Ich hörte Rubinstein, Richter, Kempff, Horowitz. Der Unterschied, wie man die Noten liest und die so unterschiedlichen Ergebnisse, waren die faszinierendsten Dinge, mit denen ich mich je beschäftigt habe. Da kam ich sehr früh zu der Erkenntnis, dass gleichaltrige oder andere Studenten mir wenig von dem Eindruck dieser oft problematischen Auseinandersetzung vermittelten.
Was heißt das genau, was fehlte Ihnen?
Interpretieren kann eine ernste und problematische Sache sein, wie ich es bei den großen Interpreten bemerkte. Diesen Eindruck vermisse ich aber bei heutigen Interpretationen oft. Daher ist es für mich schon immer das Wichtigste gewesen herauszufinden, was der Komponist wirklich aufgeschrieben hat und genau das auch zu verwirklichen. Vom ersten bis zum letzten Ton. Die Idee des Komponisten genau umzusetzen. Dazu gehört aber eben eine Selbstbefragung, welche Empfindungen man auch selbst in sich hat, damit man dem, was der Komponist vorgibt, auch folgen kann. Man muss dann auch zugeben, welche Empfindungen man nicht teilt und kann dann gewisse Stücke eben nicht spielen. Aber das, was ich hörbar mache, ist ein Spiegel dessen, was vom Komponisten geschrieben ist – aber auch ein Spiegel meines Inneren, also was mit meinen eigenen Empfindungen einhergeht.
Mit diesem Anspruch gehen Sie dann an alle Stücke heran?
Meine Schlüsselwörter sind Ehrlichkeit und Schlichtheit für die Auseinandersetzung mit dem Notentext. Man kann und sollte nur die Stücke spielen, die man mit sich selbst vereinen kann. Die Aufführung ist die Geburt des Stückes und nicht ein Stück, was nur mal wieder gespielt wird. Ohne die Identifikation mit der Vision des Komponisten geht es nicht. Das einfache Befolgen der Anweisungen ist eben nicht genug. Man muss es in sich spüren, sich damit eins fühlen, nur dann ist ein Stück auch authentisch. Und das spürt das Publikum. Ohne Wesensverwandtschaft gibt es keine Authentizität.
Der Pianist genießt den Ruf als Virtuose. Doch sehen Sie sich nicht häufig der Behauptung gegenüber, es gebe heute so viele Pianisten auf hohem Niveau? Wird es schwer sich dagegen durchzusetzen?
Heutzutage hört man oft, die Technik des Pianisten würde ihn zum Ausdruck des Stückes führen. Doch genau umgekehrt ist es der Fall: Der verlangte Ausdruck des Stückes erzwingt die Technik des Pianisten! Erst wenn man versteht, welcher oft feine und defizile Ausdruck zur Verwirklichung der Transparenz des Stückes überhaupt erforderlich ist, dann weiß man welche Technik man braucht, um dies zu auch auszuführen. Leider vermittelt man heute von dem Ausdruck des Stückes, der differenzierten Behandlung des Instrumentes und der melodischen Linie des Stückes viel zu wenig und dann ist die Technik der Musik und den Stücken oft nicht angemessen. Grober Geschmack erzeugt grobe Technik und nicht umgekehrt.
Klassik hat also viel mehr zu bieten?
Durch den erläuterten Trugschluss kommt die ganze Ausdruckskraft großer Werke in vielen heutigen Aufführungen gar nicht zur Geltung! So wird der tatsächliche Sprengstoff der Stücke dem Hörer gar nicht klar, weil sie in allen Aspekten relativierend gespielt und verwässert werden. Relativierend –
damit meine ich alle Parameter der Musik, wenn man sie denn benennen kann: Dynamik, Rhythmik, metrische Schwerpunkte – kurzum: die Deklamation der Musik. Nur dadurch erscheinen die Stücke vielen Menschen langweilig! Wissen Sie, Horowitz sagte einmal sehr treffend: „Klavierspiel besteht aus Vernunft, Herz und technischen Mitteln. Alles sollte gleichermaßen entwickelt sein. Ohne Vernunft sind Sie ein Fiasko, ohne Technik ein Amateur, ohne Herz eine Maschine.“
Das Interview führte die Journalistin Susanne Walter